Da ich schon in England war, bin ich am Sonntag mit dem Zug von Glasgow nach Birmingham gefahren. Über Airbnb hatte ich eine Bleibe gefunden und konnte noch am Sonntagabend einziehen. Mein Start am Montag war erst nachmittags, da ich mich dann mit Martin zu seiner Sprechstunde treffen konnte und vorher noch für die Woche einkaufen konnte.
Ich begann die Woche in der Birmingham Chest Clinic, einer über 100 Jahre alten Ambulanz in der Innenstadt von Birmingham, in der die Schwestern der Tuberkulosestation untergebracht sind und 2x wöchentlich eine Tuberkulose-Sprechstunde stattfindet.
In der Sprechstunde stellten sich entweder Patient*innen vor, die wegen einer Tuberkulose in Behandlung waren und zur Verlaufskontrolle kamen oder die bei einem von der Pflege durchgeführten Screening einen positiven Bluttest hatten und zur weiteren Befundbesprechung und Behandlung kamen.
Es zeigte sich, dass die Arbeitsteilung zwischen Ärzt*innen und Pflege in den UK anders aufgebaut war. Jede*r Patient*in wurde einer Pflegekraft zugeteilt, die als primäre Ansprechpartner*innen dienten. Über sie wurden viele Verlaufskontrollen abgefangen, Blut abgenommen, Vorsorgeuntersuchungen eingeleitet. In der Sprechstunde wurde schon viel von dem gemacht, was hier ärztliche Aufgabe ist.
Das Screening von Immigrant*innen auf Tuberkulose wird in Großbritannien für alle empfohlen, die aus Hochrisikogebieten kommen und in den letzten 5 Jahren zugezogen sind. Entweder werden sie von den Hausärzten zum Bluttest überwiesen oder der Test wird durch den/die Hausärzt*in abgenommen und die Überweisung erfolgt bei positivem Test.
In Å·ÃÀÊìÅ®ÂÒÂ× Ã¼bernimmt das Gesundheitsamt den ersten Teil der Diagnostik, für die Behandlung müssen wir unsere Klient*innen aber immer an Praxen oder Ambulanzen überweisen.
Die Diagnose und Behandlung von Tuberkulose wird in Großbritannien komplett vom Staat bezahlt und ist nicht von einer Versicherung unter dem National Health Service abhängig.
Am Dienstag lernte ich die Arbeit auf der Infektionsstation des Birmingham Heartlands Hospital kennen, einem von 3 Krankenhäusern in Birmingham, die Patient*innen mit Tuberkulose stationär und ambulant versorgen. Martin zeigte mir das Krankenhaus und das auf dem Gelände befindliche Labor, eines von 2 Laboren in England und Wales, die mykobakterielle Proben untersuchen.
Am Nachmittag nahm mich eine der Schwestern mit in die Ambulanz, wo eine Screening-Sprechstunde mit Personen stattfand, die Kontakt zu Tuberkulosekranken hatten oder neu eingereist waren, außerdem wurden BCG-Impfungen bei Säuglingen durchgeführt. Diese Impfung wird in Deutschland nicht mehr angewendet, in Großbritannien ist sie für Kinder von Menschen aus Hochrisikogebieten indiziert.
Am Mittwoch traf ich mich mit Vicky, einer Oberärztin der Kinderklinik, die mich mit in ihre Sprechstunde nahm, in der die Verlaufskontrollen und die Behandlung der latenten Tuberkulose stattfanden. Nach der Arbeit fuhr ich mit dem Bus in den Süden, um mir ein Fahrrad zu mieten. Der öffentliche Nahverkehr in Birmingham besteht hauptsächlich aus Bussen, die oft im Stau stehen, so dass die Fahrt von meiner Unterkunft zum Krankenhaus über eine Stunde dauerte, mit dem Fahrrad nur 35 Minuten bei Verkehr und englischem Nieselwetter.
Am Donnerstag traf ich mich wieder mit der Nurse Mel, um mit ihr zu den Hausbesuchen ihrer Patient*innen zu gehen, die dort regelmäßig vom Pflegepersonal durchgeführt werden. Wir trafen einen jungen Mann, der ein paar Tage zuvor seine Therapie begonnen hatte und in seiner Wohnung unter Quarantäne stand, eine Frau, die eine DOT (täglich überwachte Therapie) erhielt und die Familie eines jungen Mannes, der mit Nebenwirkungen seiner Medikamente zu kämpfen hatte und bei dem eine Blutabnahme notwendig war. Am Nachmittag war ich wieder in einer Ambulanz.
Am Freitag war wieder Arbeit im Krankenhaus und mittags eine Röntgenbesprechung interessanter Befunde der infektiologischen Patient*innen.
Das Wochenende verbrachte ich in Liverpool, wo ich bis 2020 wohnte, und konnte ein paar alte Freundinnen treffen.
Fazit der ersten Woche
Ich habe in der ersten Woche viel gelernt. Als Kinderärztin hatte ich schon mit der stationären Versorgung von Tuberkulosepatient*innen zu tun, habe aber in meiner Arbeit im Kinderkrankenhaus und in der Praxis wenig Berührungspunkte mit der klinischen Behandlung und den Problemen, die sich daraus für die Patient*innen ergeben.
Die Unterschiede zwischen unserer und der britischen Versorgung wurden deutlich: Die Versorgung aus einer Hand mit Screening, Diagnostik und Therapie ist wesentlich effizienter als die Aufsplitterung in Deutschland, die zusätzliche Termine und Fahrten für die Betroffenen und Kommunikation mit vielen Stellen durch das Tuberkulosezentrum erfordert.
Unterschiede zeigten sich auch bei der Versorgung von Patienten mit infektiöser Tuberkulose. In Å·ÃÀÊìÅ®ÂÒÂ× werden fast alle Erkrankten für mehrere Wochen im Krankenhaus isoliert, bis nachgewiesen ist, dass keine Ansteckungsgefahr mehr besteht, während in Großbritannien schnell eine häusliche Isolierung verordnet wird und Verdachtsfälle ambulant diagnostiziert werden. Dieses Vorgehen ist deutlich ressourcenschonender und stellt eine geringere psychische Belastung dar, stellt aber nicht hundertprozentig sicher, dass alle potenziell infektiösen Personen isoliert werden. Die Patient*innen, die in Å·ÃÀÊìÅ®ÂÒÂ× an TB erkranken sind außerdem viel häufiger in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, in denen keine Isolierung im Einzelzimmer möglich ist.