Franziska Stork berichtet aus Glasgow

Seit 2016 arbeite ich als Jugendhilfeplanerin im Jugendamt Lichtenberg. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt in der bezirklichen Kindertagesstättenentwicklungsplanung. Das heißt, ich analysiere Daten, entwickle Prognosen und plane die notwendigen Maßnahmen, um (gemeinsam mit der Senatsverwaltung und den Kitaträgern) für die Lichtenberger Kinder eine bedarfsgerechte Versorgung mit Kitaplätzen zu ermöglichen.

Als ich in 2019 das erste Mal vom Programm „Logo Europe“ gehört hatte, war ich direkt begeistert. Internationaler Austausch, vernetzen und voneinander lernen – das ist eine großartige Sache und eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Der Blick über den eigenen Tellerrand und die Landesgrenzen hinaus ist eine wunderbare Gelegenheit zur Weiterentwicklung und Reflektion der eigenen Fachlichkeit und Person. Die Verwaltung einer bedeutsamen europäischen Metropole wie ŷŮ, die so attraktiv ist für viele Menschen aus allen möglichen Länder, profitiert davon, wenn sie sich nach Europa öffnet, um auch andere Verwaltungspraktiken kennenzulernen.
Das Programm „LoGo Europe“ ist ein toller Baustein, um die Europaoffenheit auch in die Bezirksverwaltung zu tragen und bei den Mitarbeitenden wirksam werden zu lassen.

Nach meinem Urlaub im Juni 2024 bin ich zu der guten Nachricht ins Büro zurückgekommen, dass sich die Stadtverwaltung Glasgow (Glasgow City Council [GCC]) bereit erklärt hatte, mich für vier Wochen bei sich im Bereich Early Learning and Childcare (ELC) aufzunehmen, um mir das schottische Vorschulsystem näher zu bringen. Meine Freude war riesig! Glasgow war meine erste Wahl, seit ich dort im Jahr zuvor einige Tage als Touristin verbracht und erfahren hatte, dass das System der Vorschulbetreuung dort auf eine lange Tradition zurückblickt. Also sowohl die fachlichen Voraussetzungen, als auch die Stadt als Aufenthaltsort waren für mich mit Glasgow ideal.

Eine Unterkunft war schnell gefunden. Im Gegensatz zu meinem Arbeitsweg in ŷŮ, für den ich in jede Richtung knapp eine Stunde brauche, sollte er in Glasgow keine fünf Minuten zu Fuß sein. Der Bereich Early Learning and Childcare ist in den City Chambers verortet, direkt im Stadtzentrum.

Woche 1

Nachdem alles Weitere organisiert und alle Vorbereitungen getroffen waren, konnte meine Reise am Samstag, den 19.10.2024 losgehen.
Da es keine Direktverbindung von ŷŮ nach Glasgow gab, brachte mich mein Flugzeug früh morgens um 6 Uhr nach Edinburgh. Zwar hatte ich das Passier*innenaufkommen unterschätzt und die frisch gestarteten Herbstferien übersehen, aber ich war rechtzeitig am Gate und nach knapp zwei Stunden in Edinburgh. Der nächste Bus brachte mich dann entspannt und schnell (knapp eine Stunde Fahrzeit) nach Glasgow. Am restlichen Wochenende richtete ich mich in meiner Ferienwohnung, zwischen Kilt-Laden und Supermarkt gelegen, ein und erkundete bereits ein wenig die Stadt.

Am Montagmorgen ging es schließlich um 9 Uhr los. Wie verabredet, holte mich Heather Douglas, meine Ansprechpartnerin für meine Zeit in Glasgow und Leiterin von Early Learning and Childcare, am Eingang ab und ich startete gleich in eine Runde mit den Führungskräften der Abteilung ELC. Ich wurde herzlich in Empfang genommen und konnte direkt einen ersten Eindruck über die aktuellen Themen des Fachbereichs gewinnen. Dazu gehörten die Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte, der Umgang mit perspektivischen Budgetkürzungen sowie die Digitalisierung.
Kurz darauf kam der Rest des an diesem Morgen anwesenden ELC-Teams dazu und ich konnte mich und meine Arbeit mit meiner bereits in ŷŮ vorbereiteten Präsentation genauer vorstellen.

An diesem Montag war “Schottischer Tag” in der Kantine, in der wir die anschließende gemeinsame Mittagspause verbrachten und es gab die schottische Spezialität Haggis, ein Gericht aus gehackten und im Schafsmagen gekochten Schafsinnereien. Auch wenn das zur Schottland-Experience irgendwie dazugehört, lehnte ich erst einmal dankend ab (ich plante später während meines Aufenthalts als „Kompromiss“ die vegetarische Variante zu probieren). Stattdessen entschied ich mich für eine Backkartoffel.
Im Anschluss besprachen Heather und ich mein Programm für die nächsten Wochen und ich konnte erste Infos und Materialien zur Arbeit im ELC-Bereich und zum Kitasystem im Schottland sammeln. Außerdem durfte ich noch an einer kleinen Tour durch die City Chambers teilnehmen – ein wunderschönes und beeindruckendes Gebäude!

Bereits im Vorfeld hatte Heather mir einen Programmentwurf zukommen lassen. Ich war beeindruckt und dankbar dafür, wie viele Gedanken sie sich dazu gemacht hatte. Viele tolle Bereiche hatte sie mit ins Boot geholt, in die ich in den nächsten Wochen hineinschnuppern durfte.

In den folgenden Tagen zeigten mir einige Kolleginnen aus dem ELC-Team ihre Arbeit und ich bekam ein besseres Verständnis dafür, wie das Vorschulsystem in Schottland funktioniert und wie es verwaltet wird. Außerdem lernte ich Heathers Vorgesetzten und Head of Education, Douglas Hutchison, kennen und durfte in der praktischen Arbeit einer Kindertageseinrichtung hospitieren.

Meine ersten Erkenntnisse zum Kitasystem in Schottland bzw. Glasgow:
  • Kitas in Schottland, Nurseries, werden von öffentlichen, privaten und gemeinnützigen Trägern betrieben.
  • In Glasgow gibt es 110 öffentliche Nurseries und 345 weitere Einrichtungen, die von privaten oder gemeinnützigen Trägern betrieben werden.
  • Die meisten öffentlich betriebenen Kitas in Glasgow sind 50 Wochen im Jahr geöffnet. Einige wenige arbeiten mit reduzierten Öffnungszeiten und stehen nur 38 Wochen im Jahr zur Verfügung.
  • Die Fachkräfte in den vom öffentlichen Träger betriebenen Nurseries werden zentral geschult, verwaltet und den Nurseries zugewiesen. Derzeit wird, in Zusammenarbeit mit Vertreterinnen aus der Wissenschaft, ein Mentoringprogramm für die Glasgower Nurseryleitungen entwickelt.
  • Anders als in ŷŮ ist der Kitabesuch nicht für alle Kinder kostenlos. Für 3-5-Jährige und einige 2-Jährige (ob eine Berechtigung vorliegt, entscheidet sich an Hand von Sozialkriterien) werden durch den schottischen Staat seit 2020 jährlich 1140 Stunden Betreuung finanziert. Bis zu diesem Zeitpunkt waren es 600 Stunden jährlich. Wenn mehr Stunden gewünscht werden, müssen diese durch die Eltern selbst bezahlt werden. Der Ausbau der Kitaplatzkapazitäten war in den letzten Jahren also sowohl in ŷŮ, als auch in Glasgow ein Schwerpunktthema. In ŷŮ resultierte der steigende Bedarf hauptsächlich aus dem starken Bevölkerungswachstum, in Glasgow war er in der Erhöhung des Umfangs öffentlich finanzierter Betreuungsstunden begründet.
  • Die 1140 öffentlich finanzierten Betreuungsstunden können die Eltern in einer Nursery ihrer Wahl einlösen. Es ist auch möglich, diesen Betreuungsanspruch auf zwei oder mehr Nurseries zu splitten, sowohl innerhalb als auch außerhalb Glasgows. Das geht mit einem relativ hohen Verwaltungsaufwand einher, der von den Mitarbeitenden des ELC-Teams administriert wird.
  • Zur Platzvergabe wenden sich die Eltern zunächst an die gewünschte Nursery. Darüber hinaus gibt es aber auch lokale Abstimmungsrunden, bei denen sowohl Vertreter*innen der jeweiligen Nurseries, als auch Mitarbeitende des ELC-Teams dabei sind, um die Vergabe der Plätze möglichst fair und nach sozialen Kriterien zu ermöglichen.
  • Bei der Verwaltung der Nursery-Plätze gibt es mehrere Fachverfahren, die sowohl von den Nurseries als auch von Mitarbeitenden des ELC-Teams verwaltet und bearbeitet werden. Aus diesem großen Datenbestand lassen sich, vergleichbar mit dem ISBJ-System im Land ŷŮ, verschiedene Auswertungen für weitere Analysen und zur Vorlage an die Politik generieren. In Kürze soll ein neues Fachverfahren eingeführt werden, welches die bisherigen zusammenfasst und weniger händische Bearbeitung erforderlich macht. Zwei Kolleginnen aus dem ELC-Team sind eng in den Erarbeitungsprozess dieses neuen Verfahrens involviert.
  • Glasgow City Chambers außen

    Glasgow City Chambers außen

  • Glasgow City Chambers innen

    Glasgow City Chambers innen

  • Glasgow Chambers innen

    Glasgow City Chambers innen

  • Unterlagen Kita Schottland

    Unterlagen Kita Schottland

  • Plakate ELC-Bereich

    Plakate ELC-Bereich

Woche 2

Der Beginn der zweiten Woche im Glasgow City Council stand unter dem Motto Qualität. Qualität in den Nurseries, Datenqualität und Qualität in der administrativen und technischen Umsetzung von Abstimmungs- und Qualifizierungsmaßnahmen.

Der Montagmorgen begann mit einem Meeting. Ein Vertreter des Local Government Improvement Service, der die Belange der „funded providers“ (die privaten und gemeinnützigen Nurseryträger, die über das 1140-Stunden-Programm öffentliche Gelder erhalten) vertritt und als Bindeglied zur schottischen Regierung und den Stadtverwaltungen fungiert, war zu Gast und es wurde das Thema Fachkräftebezahlung besprochen. Die Fachkräfte, die in einer vom City Council betriebenen Nursery arbeiten, werden einheitlich nach Tarif bezahlt. Die „funded providers“ sind daran nicht gebunden. Ein Qualitätskriterium für die öffentliche Finanzierung ist es allerdings, die Fachkräfte mindestens auf Mindestlohnniveau zu bezahlen. Die öffentliche Hand hat jedoch wenig Steuerungsmöglichkeiten und setzt auf Kommunikation. Es soll gemeinsam eine Handreichung zu diesem Thema erarbeitet werden, die allen Kommunen zugänglich gemacht werden soll.

Nach dieser Sitzung wurden mir zwei der Kolleginnen vorgestellt, die sich mit der Qualität der Zensusdaten zum Thema Nurseries beschäftigen und auch in den City Chambers verortet sind. In diesem Bereich werden die aus den Fachverfahren generierten Daten geprüft, bereinigt und an die schottische Regierung weitergegeben. Diese wiederum veröffentlicht die Datensätze regelmäßig.

Im Anschluss lernte ich mehr darüber, wie mit dem Thema Kinder mit erhöhtem Unterstützungsbedarf umgegangen wird. Das Thema begleitete mich während meiner gesamten Aufenthaltsdauer aus unterschiedlichen Perspektiven. Ähnlich wie in Lichtenberg wächst die Zahl der Vorschulkinder mit erhöhtem Unterstützungsbedarf auch in Glasgow an. Es finden regelmäßige Abstimmungsrunden zwischen der Senior Educational Psychologist (eine psychologische Bildungsberaterin für den Vorschulbereich) und Nurseries statt, um eine optimale und passgenaue Unterstützung für jedes Kind abzustimmen und umzusetzen.
Außerdem lernte ich mehr zu den Weiterbildungsformaten für Fachkräfte und deren Organisation und Struktur. Eins dieser Programme ist „Nuturing my Potential“, ein Rahmenprogramm für die Arbeit mit Kindern unter 3 Jahren, basierend auf dem schottischen Praxisleitfaden „Realising the Ambition“ von 2020.

In den nächsten Tagen konnte ich einige Nurseries (alle von der Glasgower Verwaltung betrieben) besuchen und interessante Gespräche mit den Leitungen und Erzieherinnen führen. Auch wenn sie alle von der Glasgower Stadtverwaltung betrieben werden, war ihre Struktur teilweise unterschiedlich:
  • Alleinstehend oder angesiedelt an einer Grundschule.
  • Neu errichtet im Zuge des 1140-Stunden-Programms oder bereits länger in Betrieb.
  • Das ganze Jahr über geöffnet (50 Wochen) oder nur 38 Wochen.
  • Unterschiedliche Altersgruppen werden betreut (0-5, 2-5, 3-5 Jahre) und unterschiedliche Anzahl an betreuten Kindern.
  • Allen Nurseries gemeinsam ist eine gute technische Ausstattung. Technische Möglichkeiten werden auch in den Gruppenräumen genutzt und die Fachkräfte dokumentieren den Alltag der Kinder in der Nursery mit Tablets (je fünf Kinder wird den Nurseries ein Tablet zur Verfügung gestellt).
  • Unterschiedliche Verfügbarkeit und Nutzung einer eigenen Außenfläche.
    Das Thema Pädagogik im Außenbereich hat mit der Einführung des 1140-Stunden-Programms an Bedeutung gewonnen. Im Zuge dessen wurde die Möglichkeit zur ganztägigen Nutzung von Außenspielbereichen entsprechend des kindlichen Wunsches zum nationalen Standard erhoben. Derzeit wird von einer Arbeitsgruppe eine Handreichung zur Bedeutung und zur praktischen Umsetzung des Themas erarbeitet, die im Anschluss allen Nurseries zur Verfügung gestellt werden soll.
  • Insgesamt ist die Pädagogik in Schottland sehr kindzentriert ausgerichtet. Die Fachkräfte geben weitergehende Anregungen und unterstützen, aber die Bedürfnisse und Interessen der Kinder stehen im Mittelpunkt.
Zum Ende der Woche besuchte ich noch ein Meeting der ELC-Kolleginnen, die im Auftrag der Stadtverwaltung zur Qualitätskontrolle die Nurseries der „funded providers“ aufsuchen, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass diese mit ihrer Qualität unter den geforderten Standard fallen oder sich Finanzierungsprobleme (steigende Mietkosten sind auch in Glasgow ein Thema) zeigen. Räumlich einsortiert in die drei Glasgower Regionen (Nordwest, Nordost, Süd) werden die entsprechenden Nurseries thematisiert und das weitere Vorgehen besprochen. Wenn es Nurseries der „funded providers“ nicht gelingt, dem vorgegebenen Standard zu entsprechen, kann als letztes Mittel die Finanzierung der Plätze ausgesetzt werden. Neben der Kontrolle durch die Stadtverwaltung gibt es im schottischen Nurserysystem weitere Instanzen, welche die Arbeit und Qualität der Einrichtungen überprüfen:
  • Zum Thema Bildung werden von „Education Scotland“, einer dafür von der schottischen Regierung beauftragten Agentur, Kontrollen durchgeführt.
  • Beim Thema Pflege ist das „Care Inspectorate“ zuständig, das im Auftrag der schottischen Regierung verschiedene Pflegeeinrichtungen, unter anderem die Nurseries, überwacht. Dazu gehören Dinge des täglichen Betriebs wie die Raumausstattung, Einhalten des Fachkräfteschlüssels usw.

Nach einer intensiven Arbeitswoche habe ich das Wochenende genutzt, um in die Natur zu fahren. Unweit von Glasgow liegt das beschauliche Örtchen Stirling, das auch als Tor zu den Highlands bezeichnet wird und für die schottische Geschichte von großer Bedeutung ist. Unter anderem ist dort das Wallace Monument zu finden, ein Denkmal zu Ehren des schottischen Freiheitskämpfers William Wallace und das Stirling Castle, eine stets schwer umkämpfte Burg aus dem Mittelalter, die darüber hinaus auch noch einen atemberaubenden Ausblick über die beginnenden Highlands bietet.
Abgerundet wurde meine ultimative Schottland-Experience an diesem Wochenende mit dem traditionell schottischen Frühstücksbuffet im Hotel. Dabei wurde selbstverständlich auch Haggis aufgetischt und ich nutzte die Chance einer kleinen Probierportion. Geschmacklich lässt es sich als kräftig gewürzt und deftig beschreiben, von der Konsistenz wie ein klassisches Hackfleischgericht. Auch wenn es ganz gut geschmeckt hat, waren mein Favorit am Buffet jedoch die Tattie Scones, eine Art Kartoffelpfannkuchen.

  • Ausblick Highlands

    Ausblick Highlands

  • Stirling Castle

    Stirling Castle

Woche 3

Weil der Umgang mit Daten (das Akquirieren von Daten, die Darstellung und die Analyse) für meine Arbeit als Jugendhilfeplanerin von zentraler Bedeutung ist, organisierte meine Ansprechpartnerin Heather für mich ein Treffen mit dem „Centre for Civic Innovation“. Dabei handelt es um eine Abteilung der Stadtverwaltung, die mit moderner Technik und einem interdisziplinären Team (Data Scientists, Kommunikationsexpert*innen, Grafiker*innen etc.) Beteiligungsformate durchführt, Daten sammelt und mit einem Onlineauftritt ansprechend zur Verfügung stellt. Darüber hinaus gibt die Abteilung einen sehr anschaulichen und einfach zu verstehenden jährlichen Bericht zum Thema Kinderarmut heraus. Diese Reihe wurde im Zuge des „Child poverty act“ implementiert, bei dem die schottische Regierung 2017 das Ziel verabschiedete, die Kinderarmut im Land bis 2030 auf unter 10% zu reduzieren. Glasgow ist derzeit mit 34% die schottische Stadt mit dem höchsten Anteil an Kinderarmut.

Mit einem herrlichen Ausblick über die Stadt aus der 9. Etage durfte ich am darauffolgenden Tag einen Vertreter der „Education Scotland“ kennenlernen. Er erklärte mir seine Rolle in der „Executive Agency“, die im Auftrag der schottischen Regierung die Schwerpunkte Bildung, Lernen und Kindesentwicklung weiterentwickelt und Netzwerkarbeit betreibt. Außerdem stellte er mir verschiedene Konzepte und Projekte der Landesregierung vor und so konnten sich diese Informationen in meinem Kopf mit bereits Bekanntem gut zusammenfügen und damit mein Verständnis für das schottische ELC-System weiter verbessern.

Neben Englisch sind Gälisch und Scots die in Schottland gesprochenen Sprachen. Im Jahr 2005 verabschiedete die Schottische Regierung den „Gaelic Language Act“, um die gälische Sprache und deren Bedeutung zu schützen und zu erhalten. Derzeit sprechen in Schottland ca. 1,3% der Bevölkerung Gälisch, erstmals seit langem wieder mit steigender Tendenz. Um die gälische Sprache auch persönlich kennenzulernen, durfte ich in meiner dritten Woche auch einige Zeit in einer Nursery verbringen, die nicht nur über eine außergewöhnlich große Außenfläche (inkl. Gewächshaus und Feuerstelle) verfügt, sondern auch Betreuung in gälischer Sprache anbietet. Prinzipiell ist es für schottische Kitas mit diesem Schwerpunkt auf Grund der geringen Gesamtpersonenzahl nicht einfach gälischsprechendes Fachpersonal zu finden. Aber dieser Nursery war es gelungen. Glücklicherweise sprachen die Erzieher*innen und Kinder auch Englisch, sodass ich mich auch dort erfolgreich verständigen und vieles über die Arbeit in der Gruppe erfahren konnte.
Ich durfte an diesem Hospitationstag darüber hinaus auch noch einiges zur allgemeinen Sprachförderung für Kinder, deren Muttersprache nicht Englisch ist, lernen. Die Stadtverwaltung hat einen Pool an Expert*innen, die sich explizit um dieses Thema kümmern und je nach Bedarfslage in Nurseries und Schulen gehen, um die Fachkräfte und Kinder vor Ort zu unterstützen. Neben einem theoretischen Input konnte ich sogar selbst an einer praktischen Übungseinheit teilnehmen.

Auf dem Rückweg von der Nursery legte ich noch einen Zwischenstopp in einem der Glasgow-Merchandise-Shops ein. Vor allem mit Artikeln zum Duke of Wellington bin ich jetzt gut versorgt. Der Duke of Wellington war der britische Feldmarschall, dessen alliierte Truppen 1815 Napoleon bei der Schlacht bei Waterloo besiegten. Der Duke of Wellington bzw. was die Weegies, die Einwohnenden Glasgows, daraus gemacht haben, ist zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden: Seit Mitte der 1980er Jahre ziert ein Verkehrshütchen den Kopf der Statue vor dem Museum für Moderne Kunst im Herzen der Stadt. Eines Nachts setzte jemand dem Duke von Wellington einen Verkehrsleitkegel als Hut auf. Die Stadtverwaltung entfernte ihn, doch am darauffolgenden Morgen war er wieder da. Auch diesen Leitkegel entfernte die Stadtverwaltung, doch die Kopfbedeckung kehrte immer wieder zurück. Nach jahrelangem Hin und Her und einer Petition der Weegies zum Erhalt des lieb gewonnenen Accessoires gab die Stadtverwaltung nach. Mittlerweile ist der besondere Hutträger zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden, der auch für den Humor der Einwohnenden steht. An manchen Tagen trägt auch das Pferd des Duke einen Leitkegel als Hut und erinnert dann ein bisschen an das Wappentier Schottlands, das Einhorn.

Den Rest der Woche widmete ich der Papierarbeit im Büro. Wegen der vielen Programmpunkte, Meetings und Tageshospitationen war es mir vorher kaum möglich noch Zeit zu finden an meinem Projektbericht zu schreiben. Am Ende der dritten Woche ergab sich dann ein Zeitfenster, in dem ich all die vielen Informationen und Unterlagen durcharbeiten, sortieren und für meinen Bericht zusammenfassen konnte. Die ELC-Kolleginnen standen mir auch dabei für meine Rückfragen mit Rat und Tat zur Seite und versorgten mich, wie immer, mit dem typisch britischen Schwarztee und Biscuits.

  • Unterlage Kinderarmut vom Centre of Civic Innovation

    Unterlage Kinderarmut vom Centre of Civic Innovation

  • Duke of Wellington mit Verkehrshütchen

    Duke of Wellington mit Verkehrshütchen

Woche 4

Die letzte Hospitationswoche in Glasgow begann mit dem Besuch einer Nursery. Dieses Mal keine von der Stadtverwaltung betriebene, sondern eine Einrichtung eines „funded providers“.
Nach einer Tour durch die Einrichtung mit einer besonders großen Außenfläche im Einfamilienhausgebiet berichtete die Nurseryleitung von aktuellen Entwicklungen und stimmte die Besuchszahlen mit den beiden ELC-Kolleginnen ab. Absolutes Highlight bei diesem Besuch war, neben dem selbstgebackenen Kuchen, ein ganz besonderes Element der Außenbereichsgestaltung. Kurz vor unserem Besuch hatte die Nursery, begleitet von Presseleuten mit Kameras, einen ausrangierten U-Bahnwagen (in Glasgow „Subway“ oder wegen der Farbe und Linienführung “Clockwork Orange” genannt) erhalten. Dieser wurde auf Schienen in einem Teil der Nurseryaußenfläche abgestellt und zum Spiel- und Essbereich umgestaltet. Bei diesem alten Waggon kamen bei den Glasgower Kolleginnen nostalgische Gefühle auf und auch für mich versprühte er mit dem Celtic-Graffiti außen und dem Fahrplan auf Gälisch im Inneren viel Glasgower Authentizität. Celtic ist, neben den Rangers, einer der zwei großen Glasgower Fußballvereine, von dem man, in klassischer Lokalderby-Manier, nur eine toll finden darf. Und da im ELC-Team nur Celtic die richtige Antwort auf diese Frage ist, passte das Celtic-Graffiti sehr gut dazu.

Nachmittags nahm sich eine weitere ELC-Kollegin Zeit mir das „School Aged Childcare Projekt“ zu klären. Beauftragt von der schottischen Regierung sollte, mit nur einer Hand voll Vorgaben, ein Konzept entwickelt werden, wie Projektgelder zur Unterstützung von Familien mit geringem Einkommen und/oder weiteren Sozialkriterien eingesetzt werden können. Konkret geht es darum, dass Betreuungskosten für Kinder im Schulalter außerhalb der Regelschuldauer übernommen werden, also z. B. für die Betreuung während der Ferienzeiten, vor oder nach der Schule. Darüber soll den Eltern ermöglicht werden, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Um den konkreten Bedarf abzufragen wurde ein Fragebogen entwickelt, der über die Schulen und Nurseries an die Eltern verteilt wurde. Mit dessen umfangreichem Rücklauf konnte eine gute Datenbasis generiert und wertvolle Erkenntnisse zur Bedarfslage gewonnen werden.
Ein weiteres Element dieses Projekts ist die Bereitstellung von Finanzmitteln, um die Aufenthalts- und Spielqualität an Schulen zu verbessern. Darüber können beispielsweise neue Spielgeräte angeschafft oder Außenflächen ansprechender gestaltet werden.
Glasgow ist eine von sechs Kommunen, die sich als Pilot an diesem Projekt beteiligen. Schwerpunkte und Budget unterscheiden sich zwischen den beteiligten Kommunen und es gibt ständige Evaluationen und Abstimmungen mit der schottischen Regierung als Auftraggeberin.

Jedes Jahr veranstaltet der ELC-Bereich für alle seine Mitarbeitenenden inkl. des Personals der öffentlich betriebenen Nurseries zwei Konferenzen. Ich hatte das Glück, dass mein Aufenthalt genau in die Zeit fiel, in der eine der beiden Konferenzen stattfand. Das ermöglichte mir sowohl weitere fachlich-inhaltliche Themen kennenzulernen und bereits Bekanntes zu vertiefen, als auch einen noch besseren Eindruck darüber zu bekommen, wie viele Personen unter Heather im Feld Early Learing and Childcare arbeiten. Unter dem Thema „Pathway to Success: Effective Transition Strategies from Early Years to Secondary“ ging es in Fachvorträgen und Workshops um gelingende Übergänge zwischen den verschiedenen Bildungsstadien und die bestmögliche Unterstützung von Kindern und ihren Familien in dieser herausfordernden Zeit. Technisch gut ausgestattet war die Verwendung von QR-Codes das Mittel der Wahl, um auf weiterführende Informationen zu verweisen, aber auch um Feedback zur Veranstaltung selbst einzuholen.
Neben den spannenden inhaltlichen Eindrücken konnte ich mit der Konferenz auch einen Besuch der Glasgow Royal Concert Hall, in der die Veranstaltung durchgeführt wurde, auf meiner persönlichen Erkundungsliste abhaken. Vier Wochen sind einfach viel zu wenig Zeit, um alles zu erleben und zu besuchen, was diese tolle Stadt zu bieten hat.

Um die Umsetzung der schottischen Regelungen und das System der Vorschulbetreuung noch aus einem anderen Blickwinkel kennenzulernen, verbrachte ich in meiner vierten Woche einen Tag in West Dunbartonshire, nordwestlich von Glasgow. Glasgow ist mit 635.000 Einwohner*innen die größte Kommune Schottlands, West Dunbartonshire mit 88.000 Menschen eine der kleinsten. Dementsprechend sind die Rahmenbedingungen und Herausforderungen dort auch andere als in Glasgow.
In West Dunbartonshire ist die Anzahl der Nurseries deutlich geringer (30 öffentlich betriebene, 11 von „funded providers“). Auch die Struktur des Betriebs unterscheidet sich erheblich. Während in Glasgow die meisten Nurseries alleinstehend betrieben werden, sind sie in West Dunbartonshire überwiegend an eine Schule angegliedert und werden von der dortigen Schulleitung geführt. Diese Nurseries haben längere Schließzeiten, das heißt, nur sehr wenige sind ganzjährig geöffnet. Mit Einführung des 1140-Stunden-Programms wurden dort hauptsächlich mehr Teilzeitplätze im Bestand geschaffen bzw. durch Nutzung von räumlichen Kapazitäten der in der Regel angegliederten Schule. Das heißt, anders als in Glasgow wurden in West Dunbartonshire im Zuge dieser Reform keine neuen Nurseries gebaut.
Der ELC-Bereich in West Dunbartonshire verfügt über eine besonders detailreiche Datensammlung. Die beiden Mitarbeiterinnen nahmen sich viel Zeit mir diesen spannenden Fundus vorzustellen, die Zusammenhänge und ihre Interpretationen zu erläutern.
Die Offenheit und das Interesse an internationalem Austausch ist mir auch in West Dunbartonshire begegnet. Beim Besuch einer benachbarten Nursery und Schule wurde ich herzlich begrüßt und es wurde direkt erwähnt, dass ich heute nicht die erste Besucherin aus dem Ausland sei. Am Vormittag war bereits eine Kollegin aus China vor Ort, um sich das schottische (Vor-)Schulsystem anzuschauen.

An meinem letzten Tag im GCC bekam ich weitere Einblicke in die Finanzierung des ELC-Systems und dessen Verwaltung. Ein ausführliches, geteiltes Ablagesystem und Funktionspostfächer sind auch dabei das Mittel der Wahl, um gut strukturiert den Überblick über die zahlreichen Vorgänge und Zeitschienen zu behalten.

Zum Abschluss erhielt ich noch, eher aus Zufall, die einmalige Gelegenheit, den goldenen Streitkolben des Glasgower Parlaments in den Händen zu halten. Dieser ca. ein Meter große goldene Streitkolben ist mit zahlreichen bedeutsamen Insignien prunkvoll geschmückt, wie z. B. dem Abbild von St. Mungo, dem Stadtgründer. Zu Beginn jeder Sitzung des Stadtparlaments wird der Streitkolben rituell in den Sitzungssaal gebracht. Er soll die Abgeordneten symbolisch daran erinnern, dass sie vom Volk gewählt sind und dieses im City Council vertreten. Erst dann darf die Sitzung eröffnet werden.

Mein letzter Tag beim GCC endete mit einem gemeinsamen Abschlussessen mit Heather und dem Leitungsteam des ELC-Bereichs. Wir ließen die gemeinsame Zeit Revue passieren und sprachen über all die Erfahrungen und Erkenntnisse der letzten vier Wochen. Außerdem lernte ich noch das wichtigste Scots-Wort: „dreich“. Es steht für nasskaltes, ungemütliches Wetter, dass ich während meiner vier Wochen im schottischen Herbst allerdings überraschend selten am eigenen Leib erfahren habe.

  • Subwaywaggon Kita

    Subwaywaggon Kita

  • Subway Fahrplan Gälisch

    Subway Fahrplan Gälisch

  • Subwaywaggon Graffiti Celtic

    Subwaywaggon Graffiti Celtic

  • The Glasgow Royal Concert Hall

    The Glasgow Royal Concert Hall

Fazit

Während meiner vierwöchigen Hospitation beim Glasgow City Council habe ich das schottische Kita- bzw. Nurserysystem sehr gut und aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln kennenlernen können. Viele Fragen konnten gestellt und Vergleiche zum ŷŮer System gezogen werden. Ich konnte viel zur Struktur und die Verwaltung erfahren, aber auch Einblicke in die Praxis gewinnen. Der Umgang mit und die Generierung von Daten stellte ein weiteres zentrales Element dar.

Vielen Dank an Heather, das ELC-Team und allen Partner*innen, dass sie sich viel Zeit für mich genommen haben, um mir das System der vorschulischen Kindertagesbetreuung in Glasgow, West Dunbartonshire und Schottland zu erklären!

Der Aufenthalt in Glasgow war eine besondere, lehrreiche und intensive Zeit. Neben den spannenden fachlichen Inputs und Inspirationen sind es auch die besondere Freundlichkeit und Offenheit der Menschen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Glasgow wurde 2024 zum wiederholten Male zur freundlichsten Stadt des Vereinigten Königreichs gewählt. Diese Einschätzung deckt sich absolut mit meinen Erfahrungen vor Ort. Sowohl bei den vielen beruflichen Kontakten, als auch bei Begegnungen mit völlig Fremden auf der Straße ist mir eine außergewöhnliche Offenheit, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft begegnet, die diese Stadt zu einem ganz besonderen Ort machen. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen.